10

 

»Soll das zur Gewohnheit werden, Mayling?«

Ich trieb in einem dunklen Nebel und kam nur mühsam zu mir, als die vertraute Stimme an mein Ohr drang. Warum holte Cyrene mich aus so einem schönen Traum, dachte ich verärgert.

»Was soll zur Gewohnheit werden?«, fragte eine andere Stimme. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass sie mir gehörte.

»Hotels abzubrennen.«

Ich öffnete die Augen. Bei ihren Worten kehrte meine Erinnerung zurück. »Das Phylakterium«, keuchte ich und tastete unwillkürlich nach der Kette um meinen Hals.

Aber da war keine Kette. Entsetzt starrte ich auf Cyrene, die auf einem Stuhl neben meinem Bett saß. Meine Gedanken überschlugen sich, als ich versuchte zu rekonstruieren, was passiert war, bevor ich das Bewusstsein verloren hatte.

»Es ist weg«, erklärte Cyrene und legte ihre Zeitschrift weg.

»Anscheinend ist es - puff! - in die Luft geflogen. Ebenso wie das gesamte oberste Stockwerk des Hotels. Ehrlich, Mayling, ich glaube nicht, dass du so dramatisch werden musstest, um diese blöden Drachen loszuwerden, die uns angegriffen haben.«

Ich richtete mich auf und lehnte mich an das Kopfende des Bettes. Offensichtlich war ich in Aislings und Drakes Pariser Domizil, aber wie ich dorthin gekommen war, wusste ich nicht.

»Ich habe das Hotel in die Luft gesprengt? Das glaube ich nicht, Cy. Ich würde nie etwas tun, womit ich so viel Aufmerksamkeit errege.«

»Nun, du hast das Phylakterium in die Luft gejagt, was wohl auf das Gleiche herauskommt. Es hat ein paar Wände weggepustet und ein riesiges Loch mitten in den Fußboden gerissen, und der ganze oberste Stock ist verbrannt. Du hast noch Glück gehabt, dass sich da nur das Konferenzzentrum befunden hat und alle Teilnehmer unsterblich waren, sonst hättest du dich auch noch dafür verantworten müssen, unschuldige Menschen umgebracht zu haben.«

Mir zog sich vor Angst der Magen zusammen. Als Schattenwesen vermied ich jede Aktion, die mich ins Rampenlicht rücken würde, aber noch wichtiger war, dass ich nie jemanden töten würde.

»Die meisten Drachen kamen unverletzt davon, abgesehen von diesen Kerlen mit den Maschinengewehren. Sie fielen durch das Loch im Boden. Ich hatte eine Brandwunde am Arm, aber Gabriel hat sie geheilt«, sagte Cyrene und hielt mir einen unversehrten Arm hin.

»Das war nett von ihm«, murmelte ich unglücklich.

»Ich musste allerdings warten, bis er dich behandelt hatte, aber das war ja auch nicht anders zu erwarten. Du warst schwer verletzt.«

»Ich?« Ich bewegte meine Arme und Beine, und alles funktionierte tadellos. »Ich bin nicht verletzt.«

»Nicht mehr, weil Gabriel dich in den vergangenen zwanzig Stunden behandelt hat, aber ich habe dich gesehen, als sie dich hier hereingetragen haben, und du warst in einem ziemlich üblen Zustand.« Sie drückte meine Hand. »Ich habe mir Sorgen gemacht.«

»Alberner Zwilling«, murmelte ich und erwiderte die Geste.

»Du weißt doch, dass ich nicht getötet werden kann.«

»Das nicht, aber du kannst solche Schäden davontragen, dass du nur noch dahinvegetierst, und du hattest so viel Blut verloren, dass ich nicht sicher war, ob du jemals wieder das Bewusstsein erlangen würdest. Aber Gabriel hat die Hoffnung nie verloren.«

»Wo ist er?«, fragte ich, überrascht, dass er nicht da war.

»Oh, er ist nach unten gegangen. Kostya hat ihn wegen dir herausgefordert, und ich habe gesagt, ich passe solange auf dich auf.« Ihre Miene und ihre Stimme waren von einer heiteren Gelassenheit, wie immer.

Kopfschüttelnd stand ich auf. Einen Moment lang war mir schwindlig, aber das war auch alles. »Und wenn ich tausend Leben leben würde, Cy, ich werde dich nie verstehen. Macht es dir nichts aus, dass Kostya Gabriel wegen mir herausfordert?«

»Sei nicht albern.« Ihr glockenhelles Lachen vertrieb die letzten dunklen Spinnweben in meinem Kopf. »Er will doch nicht wirklich dich. Er will das, was du bist. Und außerdem glaube ich nicht, dass er dich bekommen wird. Gabriel kann ziemlich stur sein.«

»Was ich bin?« Erneut schüttelte ich den Kopf und trat an den Schrank, um etwas zum Anziehen herauszuholen. Warum sollte sich Kostya plötzlich dafür interessieren, dass ich die Gefährtin eines Wyvern war? Er war doch noch nicht einmal als Wyvern anerkannt! Vielleicht war das ja nur eine seiner Maschen, um Gabriel Probleme zu bereiten. »Ich werde mit Gabriel reden und ihn fragen, was los ist.« An der Tür zum Badezimmer blieb ich stehen und blickte sie an. »Hast du eben gesagt, ich wäre einen Tag lang bewusstlos gewesen?«

»Ja. Gabriel hat dich die ganze Nacht lang behandelt.« Sie zögerte einen Moment lang, und ein Schatten huschte über ihr Gesicht. »Ich glaube, er liebt dich, Mayling.«

Ich sagte nichts, sondern nickte nur und ging ins Badezimmer.

»Hast du gehört, was ich gesagt habe?«, fragte sie, als ich ein paar Minuten später angezogen wieder herauskam.

»Ja.« Ich ergriff meinen Dolch, der auf dem Nachttisch lag, und schnallte ihn an meinen Knöchel. Dann lief ich aus dem Zimmer, den Gang hinunter zur Treppe.

»Und?« Cyrene folgte mir. »Hast du gar nichts dazu zu sagen? Wie empfindest du denn für ihn?«

»Meine Gefühle spielen jetzt keine Rolle. Wichtig ist nur, was Kostya da schon wieder ausheckt. Wo sind sie?«

Ich blieb am Fuß der Treppe stehen. Cyrene deutete auf die Tür rechts, die, wie ich mich von meinen früheren Besuchen erinnerte, in ein großes Wohnzimmer führte.

»Mayling«, sagte Cyrene zögerlich, als ich die Tür öffnen wollte. Ich blickte sie fragend an.

»Du liebst ihn doch auch, oder nicht?« Sie trat einen Schritt auf mich zu und blickte mich forschend an. »Ich meine, du würdest ihn doch nicht einfach gegen einen anderen Drachen eintauschen, oder?«

Ich lächelte. »Ich kann dir versichern, dass ich kein Auge auf Kostya geworfen habe. Ich hätte gar nicht die Geduld für ihn.«

»Gut«, erwiderte sie und reckte das Kinn. »Denn er gehört mir. Und obwohl ich Verständnis dafür habe, dass er Gabriel herausfordert, würde ich nur ungern etwas Ernsthaftes unternehmen müssen, wenn du die Fronten wechseln solltest.«

»Etwas Ernsthaftes? Was soll denn das heißen?«, wollte ich wissen. »Cy, willst du mir sagen, du würdest mich vernichten, wenn ich mich mit deinem Freund einlassen würde? So kenne ich dich gar nicht.«

»Dieses Mal ist es etwas anderes«, erwiderte sie mit fester Stimme. »Nein, ich würde dich natürlich nicht vernichten, wie du es formulierst. Ich würde dich nur... na ja, ich würde dir das Leben nicht gerade leicht machen.«

Ich verkniff mir einen Kommentar und ein Lächeln und nickte nur. Dann öffnete ich die Tür.

»Ich weigere mich, weiter darüber zu reden«, sagte Gabriel gerade, als wir den Raum betraten.

»Du kannst meine Herausforderung nicht ablehnen. Ich, Konstantin Fekete...«

»Nein!«, donnerte Gabriel mit lauter Stimme. »Du kannst mich nicht wegen ihr herausfordern!«

Kostya stürmte auf ihn zu und blähte die Nüstern. »Ich fordere dich heraus wegen...«

»May ist die Gefährtin eines Wyvern«, unterbrach Gabriel ihn.

»Nur ein Wyvern kann mich herausfordern, und soviel ich weiß, bist du nicht im Weyr aufgenommen.«

»Das wäre ich aber, wenn du mich nicht aufgehalten hättest!«

Vom anderen Ende des Raums sagte jemand: »Mann, steck dir das doch...«

»Jim!«, schrie Aisling von der Couch. »Raus!«

»Mann, nie darf ich...«

»Raus!«

»Das Baby macht dich richtig gemein. Ich sage nur Rosemaries Baby... Schon gut, schon gut, ich bin ja schon still. Hallo, - Cy. Na, wie geht's, May? Junge, Junge, manche Leute nehmen die Bezeichnung ›Dämonenfürst‹ wirklich ernst.«

»Stören wir?«, fragte ich und blickte Jim hinterher, der murrend aus dem Zimmer trottete.

Die Unterhaltung brach abrupt ab. Gabriel trat sofort zu mir und blickte mich besorgt an. »Dein Zwilling sollte mir Bescheid sagen, wenn du aufwachst«, sagte er und ergriff meine Hände.

Ich lächelte ihn an. Cyrene sagte in barschem Tonfall: »Gabriel, May ist wach. Pupsie! War er gemein zu dir?«

Kostya verzog gequält das Gesicht, aber ich hatte Besseres zu tun, als mich über seine Verlegenheit zu amüsieren.

»Würde es dich bis in die Zehenspitzen deiner Drachenfüße schockieren, wenn ich dich jetzt vor allen küsse?«, fragte ich und schmiegte mich an Gabriel.

»Nein. Es würde jedoch gegen die strenge Drachen-Etikette verstoßen«, antwortete er. Seine Augen leuchteten vor Leidenschaft und Erheiterung. Ich griff in seine Dreadlocks und zog seinen Kopf zu mir herunter, um ihm einen Kuss zu geben, der die Raumtemperatur um mindestens fünf Grad erhöhte.

»Sie gefällt mir«, verkündete Aisling.

Ich knabberte an Gabriels Unterlippe. »Vielleicht sollten wir damit warten, bis wir weniger Zuschauer haben?«, flüsterte ich.

»Sie weiß, was sie will, und sie nimmt es sich. Das gefällt mir«, sagte Aisling erneut. »Drake, dir ist hoffentlich nicht entgangen, dass Gabriel ihr keinen Vortrag darüber hält, was sich schickt und was nicht.«

»Du bringst mich um den Verstand«, sagte Gabriel und zog mich fest an sich.

Drake blickte seine Frau mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Willst du damit andeuten, dass du meinen Vortragen tatsächlich Gehör schenkst?«

»Nein. Hilf mir mal.« Drake stand auf und beugte sich über Aisling, damit sie sich an seinem Arm hochziehen konnte.

»Das habe ich mir gedacht. Wenn ich dir verspreche, dir in den nächsten sechs Wochen keinen einzigen Vortrag zu halten, erlaubst du mir dann, dir beim Aufstehen zu helfen, wenn du irgendwohin gehen möchtest?«, fragte er und öffnete die Tür für sie.

»Ich denke darüber nach. Und jetzt pass lieber auf, wie nett Gabriel May erlaubt, ihn zu küssen. Er beklagt sich nicht.«

Drake runzelte die Stirn. »Kincsem, ich beklage mich ebenfalls nicht über die Methoden, mit denen du mir deine Zuneigung zeigst; du suchst dir nur immer den falschen Zeitpunkt aus...«

Sie schlug ihm die Tür vor der Nase zu.

Ich kicherte leise und knabberte an Gabriels Lippen, leckte und schmeckte ihn, gerade genug, um das Drachenfeuer anzuregen, ohne es voll zu entfachen.

»Das muss bis später warten«, sprach er meine Gedanken aus.

»Eines Tages kann ich auch deine Gedanken lesen, und dann bekommst du aber Probleme«, sagte ich und saugte ein letztes Mal an seiner Unterlippe. Mit leisem Bedauern löste ich mich von ihm, doch der Blick, mit dem er mich bedachte, wärmte mich.

»Wenn du mit dieser unpassenden Demonstration von Zuneigung fertig bist, könnten wir uns vielleicht wieder der Herausforderung zuwenden?«, sagte Kostya. Vermutlich wäre er wieder auf uns zugestürmt, wenn nicht Cyrene an seinem Arm gehangen, Liebesworte gegurrt und ihm seine kastanienbraunen Haarsträhnen hinter die Ohren geschoben hätte. Gabriel sagte etwas auf Zilant, der archaischen Sprache des Drachen-Weyr. Einen Moment lang blickte Kostya ihn geschockt an. Drakes Lippen bebten.

Ich stieß Gabriel an. »War das so etwas wie ›verpiss dich‹?«

»Ja, nur nicht ganz so höflich«, antwortete er und zeigte mir seine Grübchen. »Vergiss es, Kostya. May gehört zu mir, und du kannst sie nicht haben.«

»Komm, lass dich doch von ihm nicht zanken, Schnurzelchen«, sagte Cyrene und zog ihn zu einem Sessel.

»Du hast doch selbst gesagt, wenn du dich eine Weile zurückhältst, könnte niemand sich mehr weigern, uns als schwarze Drachen anzuerkennen.«

Kostya machte den Eindruck, als würde er im nächsten Moment die Augen verdrehen, aber er hielt sich gerade noch rechtzeitig zurück. »Du weißt nicht, wovon du sprichst, Frau. Hör auf, an mir herumzuzupfen! Ich will hier nicht mehr sitzen!«

»Nun gut!« Cyrene ließ seinen Arm und schnaubte empört.

»Wo willst du denn sitzen?«

Kostya blickte sie trotzig an. »Ich will stehen. Ehe die glorreichen schwarzen Drachen ihren rechtmäßigen Platz im Weyr wieder eingenommen...«

Gabriel und Drake verzogen gequält das Gesicht, und ich tat es ihnen gleich. Wenn Kostya erst einmal in seine Tiraden verfiel, war es schwer, ihn zum Schweigen zu bringen.

»Ach, halt doch den Mund«, sagte ich gereizt.

Kostya wollte etwas erwidern, brach aber stattdessen in Flammen aus. Drake und Gabriel betrachteten ihn überrascht, dann wandten sich alle drei mir zu.

»Ah... war ich das?«

Kostya verschränkte die Arme und funkelte mich aufgebracht an.

»Ich glaube nicht, dass ich das war. Oder?«

Gabriel nickte. Drake seufzte.

»Du solltest das Feuer besser löschen«, sagte er zu mir.

»Aisling wird böse, wenn die Hitze so groß wird, dass die Sprinkleranlage angeht.«

»Entschuldigung«, erwiderte ich und konzentrierte mich darauf, die Flammen zu löschen, die Kostya verzehrten.

»In der Tat.« Drake räusperte sich. »Es freut mich, dich wohlauf zu sehen, May. Ich nehme an, du spürst keine Nachwirkungen der Explosion?«

Plötzlich fiel mir wieder ein, was ich tun sollte. »Danke, mir geht es gut. Es tut mir leid, dass ich die Kontrolle über Gabriels Feuer verloren habe, Kostya. Das ist mir noch nie zuvor passiert.«

Murrend ließ Kostya sich in einen Sessel sinken. Cyrene setzte sich auf die Armlehne und tätschelte seine Ohren, an denen noch kleine Flammen emporzüngelten.

»Gabriel.« Zögernd legte ich meine Hand auf seine, weil ich mich vor dem fürchtete, was ich ihm gestehen musste. »Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, aber das Phylakterium... äh...«

»Es wurde zerstört, als du es benutzt hast«, beendete Gabriel meinen Satz. Die Erheiterung in seinen Augen, die ihm deutlich anzusehen war, als Kostya in Flammen stand, erlosch, und auf einmal war sein Blick ausdruckslos und unnahbar.

»Es tut mir sehr leid«, sagte ich unbehaglich. Dieses Gesicht zeigte er normalerweise nur anderen, nicht mir. »Du hättest mir sagen müssen, dass es so viel Macht hat. Cyrene meint, es sei kein Sterblicher verletzt worden, zum Glück, aber mir wäre doch lieber gewesen, du hättest mich vorgewarnt.«

»Das habe ich getan«, sagte er. Seine Augen waren hart. »Ich habe dir aufgetragen, es zu beschützen.«

»Nein, ich rede von später, als du mir gesagt hast, ich solle es benutzen...«

»Es benutzen? Du hast ihr gesagt, sie soll das Phylakterium benutzen?«, unterbrach Drake mich.

»Nein.« Gabriel runzelte die Stirn.

Ich erwiderte seinen forschenden Blick. »Doch. Als dieser Mann in die Schattenwelt kam, hast du geschrien, ich solle es benutzen.«

»Mann? Was für ein Mann?«, fragte er.

»Der dunkelhaarige Mann, der hinter den Schützen auf und ab gegangen war.«

Die drei Drachen sahen sich an. Die Tür hinter mir öffnete sich, und Aisling kam aus dem Badezimmer zurück.

»Ihr wollt mir doch nicht sagen, dass ihr ihn nicht gesehen habt?«, fragte ich.

»Wen gesehen? Was habe ich verpasst? Warum riecht es hier nach Rauch?«

Sie setzte sich neben Drake, der ihr leise etwas ins Ohr flüsterte. Offensichtlich erklärte er ihr, was passiert war, während sie weg gewesen war. Kichernd blickte sie auf den immer noch qualmenden Kostya.

»Beschreib den Mann, den du gesehen hast«, sagte Gabriel.

»Er war etwa so groß wie du, mit langen, dunkelbraunen Haaren, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Er hatte dunkle Augen und eine hohe Stirn. Oh, und er war ein Drache.«

Gabriel blickte mich verwirrt an. »Bist du sicher? Ein Drache ist dir in die Traumwelt gefolgt?«

»Was ist die Traumwelt?«, fragte Aisling Drake.

»Es ist ein anderer Ausdruck für das Jenseits«, antwortete er.

Ich nickte auf Gabriels Frage hin. »Ja, ziemlich sicher. Er wusste sogar, dass ich deine Gefährtin bin. Er hat es so gesagt, als könne er es kaum glauben. Dann sah er das Phylakterium, und als du mir dann befohlen hast, es zu benutzen, um es vor ihm zu schützen...«

»Einen solchen Befehl habe ich nie gegeben«, sagte Gabriel mit undurchdringlicher Miene.

»Aber ich habe es doch gehört. Du hast mir gesagt, ich solle es benutzen.«

»Ich habe dir gesagt, du solltest es unter keinen Umständen benutzen«, korrigierte er mich. Ich konnte das Mitgefühl, das auf einmal in seinem Blick stand, kaum ertragen.

»Das habe ich nicht gehört. Es war schwer, überhaupt etwas zu verstehen«, murmelte ich. »Dann habe ich also das Phylakterium ganz umsonst zerstört. Ich habe das Stück Drachenherz darin vernichtet. Es tut mir so leid, Gabriel. Ich dachte, ich hätte getan, was du von mir verlangst. Ich dachte, ich würde es beschützen.«

Er blickte mich einen Moment lang an, dann zog er mich in seine Arme. Ich schmiegte mich an ihn. Am liebsten hätte ich vor Kummer und Entsetzen laut geschrien, aber Weinen hat mich noch nie erleichtert, deshalb ließ ich mich nur stumm von seiner Umarmung trösten.

»Kann es irgendwie repariert werden?«, fragte ich und presste mein Gesicht an seine Brust.

»Das Phylakterium? Nein.«

Niedergeschlagen löste ich mich aus seiner Umarmung. Wie hatte ich nur so dumm sein können zu glauben, dass Gabriel mir befahl, etwas zu benutzen, das er mir zur sicheren Aufbewahrung anvertraut hatte? »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es tut mir unendlich leid, dass ich unabsichtlich diesen kostbaren Gegenstand der Drachengeschichte zerstört habe. Ich weiß, dass das Stück Drachenherz unermesslich wertvoll ist - du hast es mir schließlich oft genug gesagt aber ich habe wirklich geglaubt, dass du mir befohlen hast, es zu benutzen, als dieser Drache es nehmen wollte. Ich hätte es doch nie getan, wenn ich gewusst hätte, dass ich es dadurch vernichte. Agathos daimon! Ich könnte es dir nicht verdenken, wenn du mich dafür verstoßen würdest.«

Er sah mich mit einem halb ungläubigen, halb schwer zu interpretierenden Gesichtsausdruck an.

»Weiß sie es nicht?«, fragte Kostya mürrisch.

»Anscheinend nicht«, antwortete Drake und blickte mich forschend an.

»Das ist ja auch kein Wunder; ihr Typen sagt einem ja nie was, wenn man euch nicht direkt danach fragt«, erklärte Aisling und boxte Drake auf den Arm. »Sag es ihr!«

»Das ist die Aufgabe ihres Wyvern«, erwiderte er, hielt ihre Faust fest und küsste ihre Finger.

»Was sollst du mir sagen?«, fragte ich Gabriel.

»Mayling...« Er zögerte eine Sekunde lang, und eine Vielzahl von Gefühlen huschte über sein Gesicht. »Du hast das Stück Drachenherz nicht vernichtet. Du hast nur seine Form verändert.«

»Es ist nicht weg?« Eine unendliche Erleichterung überkam mich, als er den Kopf schüttelte. »Oh, dem Himmel sei Dank. Wo ist es? Ist das Phylakterium zu einer goldenen Kugel geschmolzen? Können wir es wiederherstellen oder sonst etwas damit machen, damit es wieder das Phylakterium wird und wir das Stück Drachenherz wieder hineinstecken können?«, sprudelte es aus mir heraus.

»Sag es ihr!«, forderte Aisling Gabriel auf.

»Ja, bitte«, warf Cyrene ein. »Die Spannung bringt mich noch um.«

Ich blickte Gabriel an und wartete.

Er ergriff meine Hände, und sein Daumen rieb über meine Knöchel. »Das Phylakterium war nur ein Gefäß, May. Das Stück Drachenherz kann nicht zerstört werden, jedenfalls nicht mit deinen Fähigkeiten.«

»Es freut mich, das zu hören«, erwiderte ich. Die Blicke, die mir alle zuwarfen, verwirrten mich. »Und was ist das große Geheimnis, das außer mir hier jeder zu kennen scheint?«

»Das Stück Drachenherz muss ein Gefäß haben. Es kann nicht alleine existieren - es muss entweder Teil eines Ganzen sein, das dadurch zu einer unendlich machtvollen Waffe würde, oder es muss in einem Gefäß aufbewahrt werden. So lautet das Gesetz.«

»Dann hast du es also in ein anderes Amulett getan, willst aber jetzt nicht mehr, dass ich darauf aufpasse?«, fragte ich. »Das kann ich dir nicht übel nehmen. Ich habe mich ja wirklich als unwürdig erwiesen.«

Die Stille, die folgte, hing schwer im Raum.

»Nein, mein kleiner Vogel. Wir brauchten kein anderes Phylakterium zu beschaffen.« Leicht wie eine Feder glitt Gabriels Daumen über meine Knöchel. »Wir brauchten es deshalb nicht, weil das Stück Drachenherz sich selbst ein Gefäß gesucht hat, als das Phylakterium zerstört war.«

Ein Schauer lief mir über den Rücken.

Seine Augen bohrten sich in meine, drangen mir silbern bis auf den Grund meiner Seele und erfüllten mich mit Licht. »Du bist das Gefäß, Gefährtin. Das fünfte Stück des Drachenherzens hat dich zur Aufbewahrung ausgewählt. Du bist jetzt das Phylakterium.«

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